Die Bunte Feder

Einblicke in die Sommerausgabe 2020

Sommerausgabe 2020

Titelbild: „Blick aus dem Fenster“, Schülerarbeit (Klasse 9) aus der Zeit des Lockdown

Inhalt
Vorwort
Jahreszeitenbrief
Die kurze Nachricht
Tafelbilder
Geographie-Epoche Klasse 11
Veranstaltungsreihe Netzwerk „Gesund aufwachsen“
Landwirtschaftspraktikum Klasse 9
WIR – Waldorf in Resonanz

Leseproben

  • Elternsprechstunde – Was braucht das kleine Kind?

    Was braucht das kleine Kind und wie können wir es in seiner Entwicklung unterstützen?

    Immer wieder stellen sich Eltern und Pädagogen eine Frage: „Was braucht das kleine Kind?“ Wie können wir eine Umgebung schaffen, in der sich unsere Kinder gesund und individuell in Ihrer Gesamtheit entwickeln können? Wie können wir einen Raum schaffen, in dem sie ihre Lebensziele entwickeln können?

    Die Haltung des Erwachsenen

    Ein Blick, ein Lächeln der engsten Bezugsperson vermitteln dem Kind, dass es willkommen, geliebt und sicher ist und in seinem Dasein wahrgenommen wird. Diese Sicherheit benötigt das Kind sich in Ruhe entwickeln zu können. Das Kind kommt mit dem Bewusstsein auf die Welt, dass alles gut ist. Dies vermittelt ihm ein Urvetrauen. Diese liebevollen Gesten unterstützen das Kind in seinem Ankommen in der Welt. Das kleine Kind benötigt den Erwachsenen als Vorbild um ihm nachahmen zu können. Es braucht einen innerlich aufrechten Menschen, an dem es sich aufrichten kann. Der Erwachsenen sollte stets Vorbild im Denken, Fühlen und Wollen sein. Dem Erwachsenen sollte seine Vorbildwirkung bewusst sein und er sollte seinen eigenen Blick nach innen wenden und sich stets in seinem Tun reflektieren.

    Das kleine Kind braucht anfangs die Pflege, den sprachlichen, liebevollen Kontakt. Die intensive, vertrauensvolle Bindung zu einem Menschen. Die Bedürfnisse sind ganz auf den Körper gerichtet. Je weiter sich das Kind entwickelt, umso mehr Freiheit erlangt es, Dinge selbst zu tun. Eine sichere Bindung zu einem Erwachsenen ist die Voraussetzung für das Kind, später selbständig aktiv zu werden.

    In den ersten drei Lebensjahren sind es drei große Entwicklungsschritte, die die Kinder vollziehen. Sie beginnen im ersten Lebensjahr zu gehen, zu sprechen im zweiten und zu denken im dritten Lebensjahr. Laut Rudolf Steiner braucht das Kind um Gehen zu lernen, eine von Liebe und Freiheit geprägte Atmosphäre. Beim Sprechenlernen, ist es die Wahrhaftigkeit in der Sprache und beim Denkenlernen, die Klarheit im Denken der Erwachsenen. Dies zeigt uns erneut, wie wichtig die Haltung des Erwachsenen gegenüber dem kleinen Kind ist.

    Pflege

    Wenn wir uns die Pflege genauer anschauen, geschieht dabei so viel an Bindungs- und Beziehungsarbeit. Aus der reinen Pflegetätigkeit wird Nähe und sich wohlfühlen. Durch das sprachlich begleitete Tun entsteht Kommunikation. So gesehen, die erste Sprachförderung. Nicht zu viel, denn das Kind möchte die Welt erfahren, sie nicht erklärt bekommen. Die Tätigkeit am Kind sprachlich zu begleiten, in einer positiven Haltung zum Kind, ist eine wundervolle Art mit dem Kind in Kontakt zu treten. Hier lauschen Kinder der ruhigen Sprache und beginnen sie zu erkennen. Wenn während der Pflege ein sprachlicher Austausch bzw. ein begleitendes Sprechen stattfindet, hilft es dem Kind nicht nur im körperlichen Bereich sich zu beteiligen, sondern es sind wichtige soziale Kontakte. Wir sehen aber auch, es sind drei wesentliche Aspekte von Kommunikation gegeben, nämlich die Berührung, die Sprache und der Blick.

    Es sind ebenso Momente des Vertrauens und der Innigkeit. Wenn man sich dem Kind direkt zuwendet, also man ganz beim Kind ist, geht das Kind „gesättigt“ an Aufmerksamkeit aus dieser Situation heraus und kann frei sein im Spiel. Es ist dann in der Lage zufrieden seine Umwelt zu erforschen, wenn es dem Erwachsenen gelingt, während der Pflege eine achtsame Wahrnehmung und innerliche Präsenz dem Kind gegenüber zu halten. Emmi Pikler sagt hierzu: „ Das Kind ist satt an Zusammensein und möchte nun für sich sein“.

    Rituale

    Rituale und Rhythmen über den Tag vermitteln dem Kind Sicherheit und Halt. Sie sind grundlegende Elemente der Tagesgestaltung in waldorfpädagogischen Einrichtungen. Immer wiederkehrende Abläufe, die das Kind kennt, tragen das Kind. Alles was sich im Tagesablauf wiederholt wirkt ordnend auf die innere Struktur des Kindes. Wir sollten den Tagesablauf und die Umgebung so gestalten, dass wir so wenig wie möglich in Aktivitäten der Bewegungen der Kinder eingreifen müssen.

    Wenn man die Abläufe bewusst ritualisiert, kann das Kind in Ruhe beenden was es begonnen hat und bekommt auch eine Orientierung durch den Tagesablauf. Dadurch, dass die Kinder durch den Erwachsenen wenig in ihrer Erfahrungswelt gestört werden, können sie abtauchen und beenden wenn es für sie genug ist. Ein verlässlicher Ablauf ist Grundlage dafür, dass sich das Kind voll und ganz auf etwas einlassen und seine Entdeckerfreude ausleben kann. Hier kann es sich autonom in seinem Tempo entwickeln. Die Wiederholungen der Tagesabläufe wirken hier tief im Kind und bieten ihm Vertrautheit, Struktur und Sicherheit.

    Die Umgebung des Kindes

    Ebenso wichtig wie die Rituale und die Pflege, also innere Faktoren, sind auch die äußeren Faktoren wie die Umgebung des Kindes. Hier sollte darauf geachtet werden, dass das Kind sich seines Entwicklungsstandes entsprechend selbst ausprobieren kann. Es ist wichtig, dem Kind die Freiheit und den Freiraum einzuräumen es selbst zu tun. Dies ist ein Grundbedürfnis des Kindes. Dies schafft ein Kind jedoch nur, wenn es mit Aufmerksamkeit des Erwachsenen „gesättigt“ ist. Der Raum sollte so vorbereitet sein, dass er überschaubar ist. Er sollte Bewegungsfreiheit bieten, erkundbar sein. Das Kind sollte ebenso wählen können zwischen Bewegung und Ruhe. Der Erwachsene begleitet nur mit einer wachen, liebevollen Wahrnehmung.

    Ein Blick zum Kind vermittelt ihm ein Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Aus diesem Grund sollten die Räumlichkeiten so gestaltet und die Materialien so angeordnet sein, dass das Kind auf sinnvolle Art in Kontakt mit dem Raum treten kann. Wir wirken auf das Lernen des Kindes mit der Gestaltung eines Raumes ein. Natürliche Spielmaterialien, aber auch Alltagsgegenstände sind besonders anregend für die Sinne der Kinder, da die unterschiedlichen Oberflächen viele taktile Anreize bieten. Je einfacher die Utensilien gestaltet sind, desto wandelbarer sind sie einsetzbar. Sie ermöglichen den Kindern ein erstes Verstehen und Wiedererkennen.

    „Das autonome Entdecken der Welt, in einer vom Erwachsenen gestalteten und belebten Umgebung, ist für das Kind das eigentliche Lernen. Wir Erwachsenen können dieses Lernen durch unsere eigene Begeisterung unterstützen, indem wir die richtige, inspirierende Umgebung schaffen. Aber lernen muss und kann das Kind allein und wird dies auch gerne tun, wenn wir es dabei wach begleiten, es trösten bei Misserfolgen und uns herzlich freuen an seinen Erfolgen.“1

    Sinnespflege

    Bei dem kleinen Kind hat vor allem die Pflege der basalen Sinne eine hohe Gewichtung. Diese sind der Tastsinn, der Lebenssinn, der Eigenbewegungssinn und der Gleichgewichtssinn. Man nennt sie auch die leiblich orientierten Sinne. Da das Kind sich in den ersten Jahren erst selbst erleben muss, stehen diese Sinne im Vordergrund. Durch den Tastsinn erlebt das Kind seine körperlichen Grenzen, seine eigene Leiblichkeit. Er ist somit der Schlüsselsinn der Selbstwahrnehmung. Der Lebenssinn hilft uns zu erkennen, ob es uns gut geht, ob wir uns wohl oder schlecht fühlen, ob wir Hunger oder Durst haben. Michaela Glöckler: „ Eine gesunde Ernährung, ein guter Lebensrhythmus, die Pflege der Lebenskräfte sind die beste Intelligenzförderung, die beste Förderung für das Wahrnehmen von Gedanken und Lebensvorgänge anderer“ . Durch den Eigenbewegungssinn spüren wir unsere Bewegungen von innen. Durch den Gleichgewichtssinn kommen wir in die Außenwelt. Er gibt uns Sicherheit und Halt und er bewirkt die Integration der Bewegungsmöglichkeiten. Unsere Sinne sind jedoch niemals einzeln tätig, sondern immer miteinander verbunden. Hierdurch wird uns bewusst, wie wichtig es ist den Kindern vielfältige Möglichkeiten zu bieten an denen sie ihre Sinne frei austesten und erleben können. Durch die Sinne wird Selbsterleben möglich.

    Beim Ausleben dieser Sinne erfahren die Kinder ihre Wirksamkeit. Sie treten durch die verschiedensten Sinneswahrnehmungen mit der Welt in Kontakt. Die Kinder sind Sinneswesen, um unsere Welt begreifen zu können benötigen sie diese vielfältigen Sinneserfahrungen.

    Wir sollten versuchen freie Erfahrungsräume und Lernorte zu schaffen. Hier können die Kinder aktiv werden und durch eigene Inspiration in ihre Tätigkeit kommen, durch die sie die Welt erfahren können. Die Räume sollten so eingerichtet sein, dass das Kind die unterschiedlichsten Sinneserfahrungen erleben kann, da in den ersten drei Lebensjahren die größte neurale Vernetzung stattfindet. Hier erfolgt die größte Ausgestaltung des Gehirns und dies bildet die Grundlage für spätere Entwicklungs- und Lernprozesse. Das Kind kommt vom „Greifen“ zum „Begreifen“. Bei allen Entwicklungsstufen kommt der Impuls immer aus dem Kinde heraus.

    Zusammenfassend sind von großer Bedeutung, die innere Haltung des Erwachsenen, die sicheren Bindungen, der ritualisierte, rhythmisierte Tagesablauf und die Umgebung des Kindes. Vor allem sollten wir der Sinnespflege der Kinder einen hohen Stellenwert zu kommen lassen. Wir sollten den Kindern den Raum, den Freiraum und vor allem die Zeit geben geistig, seelisch und körperlich Erfahrungen zu sammeln und sie dabei offen und liebevoll begleiten. Sie umhüllen und wenn nötig unterstützen.


    In den Worten von Rudolf Steiner:

    „In Ehrfurcht empfangen, in Liebe erziehen, in Freiheit entlassen“

    Manuela Kuhn

     

    Quelle: Die Würde des kleinen Kindes“ Michaela Glöckler/Claudia Grah-Witterich / 1Angelika Knabe, Die Würde des kleinen Kindes S.155

  • Waldorfpädagogik – Beziehungskunde

    Über die Beziehung zwischen dem erziehenden Erwachsenen und dem Kinde im Waldorfkindergarten

    Die Geisteswissenschaft und die daraus entstandene Waldorfpädagogik sind keine Programme, sie entwickelt sich aus dem Verständnis für den Menschen, aus dem Begreifen der Menschennatur. Die Waldorfpädagogik lebt von und in der Beziehung zwischen Kind und dem Erzieher, der Erzieherin.

    Im folgenden Text werde ich auf die geschlechterspezifische Bezeichnung der Erzieherin und des Erziehers verzichten und von dem Erzieher schreiben. Dies vereinfacht lediglich das Schreiben und soll keinesfalls als diskriminierend verstanden werden.

    Das Kind benötigt Sicherheit für sein freies, individuelles Handeln. Hierzu tragen Rhythmen und eine gestaltete Umgebung bei. Unerlässlich ist aber eine erwachsene Persönlichkeit, die dem Kind in Denken, Fühlen und Wollen Halt und Orientierung gibt. Für den Erzieher ist dies eine große Herausforderung, denn er wird von dem Kind nicht in seiner Haltung gegenüber der Welt wahrgenommen, sondern vielmehr im Umgang mit den kleinen alltäglichen Situationen.

    Wie ist die Grundstimmung des Erziehers? Tritt er den Kindern wohlwollend gegenüber, auch wenn sie sich altersgemäß nicht regelkonform verhalten haben? Wenn sie sich im Streit um ein Spielzeug so verhalten, wie sie es können und nicht wie wir Erwachsene es erwarten? Strafen wir ab oder zeigen wir echtes Verständnis und Mitgefühl für jeden Beteiligten? Wie erleben uns Kinder im Umgang mit anderen Erwachsenen, der Kollegin/dem Kollegen, mit der/dem ich im Moment nicht einer Meinung bin? Mit dem Elternteil, das zum wiederholten Male Vereinbarungen nicht einhält oder dem/der PraktikantIn der/die immer wieder zu spät zur Arbeit erscheint? Beispiele gibt es viele.
    Weiter gilt es, sich die Frage zu, stellen: Erlebt das Kind seinen Erzieher auch in echter Freude, im wertschätzenden Umgang mit seinen Mitmenschen, der Natur und anderen Lebewesen?
    Ist der Erzieher ganz in seinem Tun, ganz in seiner Tätigkeit oder macht er mehrere Dinge gleichzeitig?

    Dies würde ein Kind irritieren, anstatt sich mit der Erzieherpersönlichkeit zu verbinden und ggf. auch ins Tun zu kommen, weiß es nicht wo es „zugreifen“ kann, findet keinen Halt, kommt weder ins Tun noch ins Spiel.

    Vorbild und Nachahmung sind hier die Schlagwörter, von denen wir im Waldorfkindergarten immer wieder sprechen.

    Ein weiterer Aspekt ist die Authentizität des Erziehers. Sprache, Gestik, Körperbewegungen, Mimik, dies alles sind Merkmale unserer Individualität. Daher sind auch hier übertriebene Handlungen für das Kind irritierend. Wolfgang Saßmannshausen schreibt in seinem Buch: „Waldorfpädagogik im Kindergarten“ folgendes:

    „Gleichwohl prägt dies die Unverwechselbarkeit des Menschen weitaus mehr als seine Anschauungen. In der Haltung eines Menschen verbirgt sich sehr intim die Wirkung des ICH an seinen Äußerungsmöglichkeiten.“ (S.38, Abs. 3)

    Über die bereits erwähnte Grundstimmung schreibt er weiter:
    „Eine weitere wichtige Ebene, auf der für das Kind Sicherheit entsteht, ist die seelische Ebene. Sie ist im weitesten Sinne bestimmt vom Verhältnis des Erziehers zu seiner Umgebung. Entscheidend ist hier die Grundstimmung, mit der der Erwachsene immer wieder auftretenden unvorhersehbaren Ereignissen begegnet. Das Kind erwartet, das einmaligen Situationen einmalig begegnet wird. (S.39, Abs.1)

    Grundvoraussetzung für eine gute Beziehungsarbeit im Kindergarten ist es also, dass der Erzieher sich selbst als Lernender versteht, Freude daran entwickelt sein Handeln zu reflektieren und „Spaß am Menschsein“ hat. Warum sich diesen zu entwickeln nicht nur für das eigene, persönliche Leben lohnt, sondern auch für die Kinder unserer heutigen Zeit elementar wichtig ist, schrieb Helmut v. Kügelgen in dem Vorwort „Menschsein lernen“ zu dem Buch „Plan und Praxis des Waldorfkindergartens“:

    „In den Waldorfschulen und Waldorfkindergärten haben wir immer wieder das Novaliswort wiederholt: Das Menschsein lernt das Kind nur am Menschen. Es wird Zeit das Wort umzuwenden: Das Menschsein lernt der Erwachsene nur am Kinde! Beobachten wir es wacher, so erfaßt uns Ehrfurcht vor der Welt, aus der ein Wesen kommt, um sich zu inkarnieren, um Entschlüsse zu verwirklichen und ein Schicksal zu ergreifen. Wir würden sein Vertrauen mit Selbstlosigkeit, seinen Liebehunger mit Opferbereitschaft, seinen Lernhunger mit Selbsterziehung und eigenem Streben beantworten. Wir würden bemerken, wie sehr unser Verhalten von Mensch zu Mensch, unsere Dankbarkeit und Leben gestaltende Bewußtheit sich der nachrückenden Generation einprägen. Die selbstverständliche, hingebungsvolle Nachahmung des Kindes, seine stillen, schöpferischen, nach Spiel und Handlung drängenden Kräfte würden uns herausfordern, Verinnerlichung zur künstlerischen Betätigung, Engagiertheit im Beruf und Schulung unserer Willenskräfte zu üben.“ (S.8, Abs.1)

    Die Menschenkunde nach Rudolf Steiner und die daraus resultierende Pädagogik ist es, was den Waldorfkindergarten von anderen Kindergärten unterscheidet. So unterscheidet sich folglich auch die Ausbildung zu Waldorferzieher. Dies wird in folgenden Sätzen für mich sehr deutlich:

    „Den Waldorfkindergarten kennzeichnet vielleicht an erster Stelle die erfahrene und erkannte Überzeugung, daß der Mensch das Menschsein nur vom Menschen lernt: daß das kleine Kind den Erzieher braucht, der mit ihm lebt, der sich auch geistig-seelisch mit dem Kindeswesen verbindet, der selber bis in das hohe Alter ein Werdender und Wandelnder bleibt. Die Forderungen der Pädagogik müssen nicht an das Kind, sie müssen an den Erzieher gerichtet werden.“ (1)

    „Ziele und Wertvorstellungen und das Wesen des Menschen müssen zuerst vom Erzieher „erforscht“ und dann in „geistergreifender Gesinnung“, wie es Rudolf Steiner formulierte, in Elternverhalten und Schulalltag umgesetzt werden, in brüderliche Einstellung im Berufs- und Wirtschaftsleben. Neue Denkgewohnheiten im Anschauen des Menschen machen neue Begriffe und Bewußtseinserweiterung notwendig.“(2)


    Quelle:
    (1) „Plan und Praxis des Waldorfkindergartens“, 9. Auflage 1985, Verlag Freies Geistesleben, S.9, Abs.5, H.v.Kügelgen
    (2) „Plan und Praxis des Waldorfkindergartens“, 9. Auflage 1985, Verlag Freies Geistesleben, S.11ff, Abs.2, H.v.Kügelgen


    Pädagogische Umsetzung

    Das Konzept des Waldorfkindergartens sieht vor, die Kinder in Stammgruppen zu betreuen. Dies bedeutet, das Kind kommt am Morgen in „seiner“ Stammgruppe an, wird dort von „seiner“ Erzieherin begrüßt und in Empfang genommen. Zudem trifft es auf die ihm vertrauten Kinder. Gehen wir davon aus, das Kind wird täglich zu einer nahezu gleichen Uhrzeit von den Eltern in den Kindergarten gebracht, kommt es auch immer in der gleichen Situation an (z.B. bei der Frühstücksvorbereitung). Dies gibt dem kleinen Kind Sicherheit und erleichtert ihm die Trennung von den Eltern, Großeltern, etc. . Uns Erziehern ermöglicht das Konzept eine kontinuierlich intensive Wahrnehmung der Kinder. Wir können schneller herausfinden, in welchen Situationen sich das Kind wohl oder unwohl fühlt, an welchen Erzieher das Kind gerne anknüpft und wessen Hand oder Schoß es benötigt. Es entsteht ein Band zwischen Erzieher und Kind. Nicht selten kommt es vor, dass sich das Kind seine Bezugsperson aussucht. Dann möchte es nur von DER einen Person getröstet, gepflegt oder begleitet werden. Gerade beim kleinen Kind und in der Anfangsphase der Kindergartenzeit ist das natürlich.
    Es ist die Aufgabe des Erziehers rechtzeitig zu erkennen, wann es an der Zeit ist, seinem Schützling „Flügel zu geben“, sollte er sich nicht von allein lösen wollen. Geben wir Erzieher dem Kind anfangs noch viel Sicherheit durch unsere direkte Anwesenheit in seiner Nähe, wird daraus zunehmend ein Blickkontakt aus der Ferne. Mit der Zeit knüpft sich eine Art „inneres Band“ zwischen dem Erzieher und dem Kind.

    Das kleine Kind braucht für seine gesunde Entwicklung die Freiheit sich auf seine Umgebung einzulassen, es braucht das Spiel und die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen. Das „innere Band“ zum Erzieher gibt dem Kind im Kindergarten die Sicherheit dafür. Es fühlt sich in seiner Persönlichkeit angenommen und wertgeschätzt in dem, wie es handelt.

    Beziehungspartnerschaft mit den Eltern

    Grundlage für alles bereits Erwähnte ist die gute und ehrliche Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Elternhaus.

    Die ersten Wahrnehmungen vom Kindergarten machen Eltern meist bei Veranstaltungen, Führungen oder auch im Erstgespräch mit den Gruppenerziehern. Die intensivste Wahrnehmung von einander haben Eltern und Erzieher aber in der Eingewöhnungszeit, sprich in den ersten Tagen oder Wochen, in der die Eltern ihre Kinder im Kindergarten begleiten. In dieser Phase sind Eltern in der Regel das erste Mal mit einem Kindergartenalltag konfrontiert, dadurch entsteht nicht selten in ihnen die Sorge: Ist mein Kind den Anforderungen im Kindergarten schon gewachsen? Dies ist der Moment in dem der Grundstein für eine gemeinsame Arbeit gelegt wird. Verständnis für die Nöte der Eltern, Freude an der Begegnung und dem Austausch mit ihnen, „Spaß am Menschsein“, sind die weiteren Bausteine, die zu einer gelungenen Kindergartenzeit für das Kind beitragen. Ein offener Austausch, besonders in der Eingewöhnung aber natürlich auch darüber hinaus, ist auch grundlegend für die Arbeit des Erziehers. Die Fragen der Eltern sind es, die uns die Möglichkeit geben unsere Pädagogik verständlich zu machen. Zudem ermöglichen sie dem Erzieher sein pädagogisches Handeln zu reflektieren. Nimmt der Erzieher seinen Auftrag zur Selbsterziehung ernst, ist er quasi auf den wertschätzenden, offenen und konstruktiven Austausch mit den Eltern angewiesen. Daher meine Bitte an alle Eltern: Kommen sie auf uns zu, wir bringen ihnen die Hintergründe unseres pädagogischen Handelns und unsere Pädagogik gerne näher. Denn wenn Mama und Papa sich am Morgen bei der Übergabe wohlfühlen, wenn sich zuhause positiv über den Kindergarten geäußert wird, dann kann sich auch das Kind wohlfühlen und freudig gestimmt in den Kindergarten gehen.

    Hausbesuche

    Durch die Hausbesuche erleben die Erzieher ihre Schützlinge im häuslichen Umfeld, zwei wichtige Lebensbereiche der Kinder können hier einander näher gebracht werden. Hausbesuche sind nicht verpflichtend und sind lediglich als ein weiteres Instrument der gemeinsamen Arbeit zu verstehen.

    „Das Grundanliegen des Waldorfkindergartens ist es, in der jeweiligen und damit gemeinsamen Verantwortung für das Schicksal des Kindes das eigentliche Motiv der Zusammenarbeit mit den Eltern zu sehen. Nicht Belehrung über den „richtigen“ Erziehungsansatz, das „richtige“ Spielzeug, das „richtige“ medienpädagogische Verhalten etc. sind wichtig oder überhaupt bedeutsam, sondern die Begegnung und die Zusammenarbeit um des Kindes willen.“
    (W.Saßmannshausen, „Waldorfpädagogik im Kindergarten“, Herder Verlag, 2.Auflage 2003, S.75, Abs. 2)


    Beziehung zu Zeiten von Corona

    Wie gelingt es uns nun aber das „innere Band“ zu den Kindern zu halten wenn uns die tägliche Begegnung mit ihnen fehlt?
    Diese Frage kann pauschal nicht beantwortet werden. Jede Erzieherpersönlichkeit findet hier ihren eigenen Weg. Dieser wird bestimmt von der eigenen religiösen, spirituellen Ausrichtung, den Persönlichkeitsmerkmalen und auch, um ganz im „Hier und Jetzt“ zu bleiben, nach den Ressourcen, die jeder Kollegin/jedem Kollegen zur Verfügung stehen.

    Die Einen sind zu 100% zuhause, andere arbeiten im Kindergarten in der Notbetreuung, wieder andere arbeiten im Hintergrund für den Kindergarten, für den Verein weiter und sichern so die Betreuung und deren Ausweitung.

    Eines gilt jedoch für alle Kollegen: Wir tragen alle unsere Schützlinge im Herzen weiter. Wir denken an sie, wenn sie Geburtstag haben, zünden z.B. im Stillen eine Kerze an.
    Jedes Kind kann vom jeweiligen Erzieher in dessen Bewusstsein geholt werden. Der Erzieher macht sich dann Gedanken darüber, wie er das Kind in den letzten Tagen und Wochen im Kindergarten erlebt hat und was das Kind seiner Meinung nach bei einem Wiedereinstieg in den Kindergartenalltag an Hilfestellung braucht.

    Durch regelmäßige Post versuchen wir, Elemente aus dem Kindergarten für zuhause zur Verfügung zu stellen. Auf unserer Homepage, unter der Rubrik „Krönchen“, findet man Beiträge aus dem Kindergarten.
    Mit der Telefonsprechstunde haben wir den Eltern die Möglichkeit zum Austausch geboten.
    Dies alles ersetzt natürlich nicht die zwischenmenschliche Begegnung, dessen sind wir uns bewusst. Wir freuen uns daher sehr darauf, sie und ihre Kinder wieder im Kindergarten zu sehen.

    Doreen Bubser (Erzieherin Kindergarten)


    Quellen:
    Wolfgang Saßmannshausen, „Waldorfpädagogik im Kindergarten, Profile für Kitas und Kindergärten“, erschienen im HERDER Verlag, 2. Auflage, 2003

    „Plan und Praxis des Waldorfkindergartens, Beiträge zur Erziehung des Kindes im ersten Jahrsiebt“ herausgegeben von Helmut v. Kügelgen im Verlag FREIES GEISTESLEBEN,
    9. Auflage, 1985